Nähe auf dem letzten Weg
Von Martin Siemer
Wildeshausen. Abstand ist das Schlagwort in der Corona-Pandemie. Doch gerade bei der Begleitung Schwerkranker, Sterbender oder deren Angehöriger ist Nähe ein unverzichtbarer Bestandteil. Und so sind die vergangenen Monate auch für die Hospizhilfe Wildeshausen eine ganz besondere Herausforderung. Denn Hospizarbeit bedeutet Zeit schenken, Dasein und sich öffnen für die Bedürfnisse Sterbender. Das geschieht durch regelmäßige Besuche, Gespräche, Zuhören und Schweigen, wodurch Beziehungen und Nähe aufgebaut werden. Dinge, die zurzeit nicht möglich sind. Und doch sind die elf Sterbebegleiterinnen der Hospizhilfe Wildeshausen weiterhin mit ganzer Energie für die Menschen da. „Für die Menschen, die uns brauchen. Und wir hoffen, dass in Zukunft die notwendige und unbeschwerte Nähe wieder möglich ist“, sagt Renate Harms vom Vorstand der Hospizhilfe. Seit sechs Jahren ist die 58-Jährige selbst Sterbe- und Trauerbegleiterin. Männliche Sterbebegleiter gibt es im Verein derzeit nicht, was sie sehr bedauert.
Ein Erlebnis mit ihrer Nachbarin war letztendlich der Auslöser für das ehrenamtliche Engagement. „Die Frau war schon schwer erkrankt und geschwächt. Sie war gestürzt und ihr Mann konnte ihr nicht wieder aufhelfen“, erinnert sich Harms. Beim Sturz hatte sich die Frau einen Bruch zugezogen. Harms schaffte es, sie aufs Bett zu legen. „Dann hat sie mir gesagt, sie hätte gerne etwas zum Lutschen, weil ihr Hals zu trocken war. Ich wollte ein Kaugummi aus unserem Haus holen und hab ihr gesagt, dass sie nicht weglaufen solle. Da hat sie lauthals gelacht, weil es wegen des Bruches ja ohnehin nicht möglich war.“ Wenige Tage später ist die Nachbarin dann gestorben, aber Renate Harms freute sich, dass sie die Frau in ihrem Leid am Ende noch ein klein wenig erheitern konnte.
Renate Harms absolvierte, wie alle Sterbebegleiter, eine entsprechende Ausbildung. Und eine zusätzliche als Trauerbegleiterin. Die Hospizhilfe bietet einen monatlichen Gesprächskreis für Menschen an, die in Trauer sind. Dieser findet jedoch aufgrund der aktuellen Situation derzeit nicht statt. In diesem offenen Trauerkreis, einem geschützten Raum, können die Trauernden über ihre Situation reden, einander zuhören oder auch gemeinsam schweigen und weinen. Den Trauernden helfe es manchmal auch, wenn sie hören, was andere erzählen. „Gleichgesinnte sind oft die besten Trauerbegleiter“, weiß die 58-Jährige aus Erfahrung. Das die Menschen in diesen Gesprächsrunden ernst genommen und nicht alleine gelassen werden, das sei ganz wichtig. „Jeder hat seine eigenen Probleme, die mögen manch anderem ganz klein vorkommen“.
Und ihre Trauer könne man nicht wegzaubern, aber die Trauerbegleiterinnen können zur Seite stehen und sie ein Stück des Weges begleiten. Auf Wunsch werden auch Einzelgespräche angeboten, weil es Menschen gibt, die in der Gruppe einfach nicht frei sprechen können oder sich nicht mitteilen wollen.
Für ihre ehrenamtliche Arbeit als Sterbebegleiterin hat sie sich zur Abgrenzung ein emotionales Schutzschild zugelegt. „Wenn ich das Zimmer betrete, dann schlüpfe ich in einen imaginären Schutzmantel, den ich dann beim Abschied an den Kleiderhaken hänge. Dann bin ich wieder Renate Harms und versuche, die Erlebnisse nicht mit nach Hause zu nehmen.“
Wichtig bei der Sterbebegleitung sei, dass der Sterbende diese selbst möchte. „Oftmals sind die Sterbenden auch alleine, haben keine Angehörigen mehr.“ Nach einem ersten Kontaktgespräch, auch mit dem häuslichen Umfeld, weiß Renate Harms, ob die Begleitung passt oder nicht. Und dann ist sie einfach da, gibt Nähe, liest vor oder unterhält sich mit dem Menschen. „Einer Dame, die schon dement war, habe ich einfach Lieder vorgesungen“, erinnert sie sich. Und sie habe auch schon mit dem Menschen herzhaft gelacht. Sie und ihre Kolleginnen der Hospizhilfe möchten einfach ein wenig Licht ins verbleibende Leben bringen.
Bei der Sterbebegleitung selbst hat sie festgestellt, dass manche Menschen in ihren letzten Momenten alleine sein möchten. „Sie signalisieren dann, dass alles in Ordnung ist, damit ihre Angehörigen gehen und sie dann sterben können.“ Auch bei der Sterbebegleitung gibt es durch Corona Einschränkungen.
Besuche im Krankenhaus sind nicht möglich. Und es gibt Sterbebegleiter, die im Moment nicht aktiv sind, auch um sich selbst vor dem Virus zu schützen. „Jeder entscheidet das für sich selbst, ob er das möchte, mit Abstand und mit FFP2-Maske.“ Vieles geschehe zurzeit durch telefonische Betreuung.
Und noch etwas ist in diesem Jahr ganz anders bei der Hospizhilfe. Das traditionelle Weihnachtsessen für Alleinstehende im Alexanderstift, welches der Verein ausrichtet, muss das erste Mal seit 27 Jahren ausfallen. Im vergangenen Jahr feierten 50 Menschen den Heiligabend in Gemeinschaft, bei Klaviermusik und einem leckeren Menü. „Wir können und wollen in diesem Jahr kein Risiko eingehen“, sagt Renate Harms.
Für sich selbst zieht sie viel aus der Arbeit in der Sterbe- und Trauerbegleitung. „Seit dem ich das mache, bin ich mit mir im reinen und ich weiß, was für mich wirklich wichtig ist im Leben. Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod“, sagt Renate Harms. Ganz extrem sei die Erkenntnis, dass man sich glücklich schätzen kann, gesund zu sein und man wird demütig.
Der Originalartikel ist im Weser Kurier / Delmenhorster Kurier in der Ausgabe vom 19. Dezember 2020 erschienen.
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